Bevor die politisch heißen Debatten beginnen, lädt die Schlosskirchengemeinde zur Andacht ein. Im Januar durfte ich die Andacht gestalten zur Jahreslosung: "Du bist ein Gott, der mich sieht."

„Vom sehen und gesehen werden“

Andacht zur Jahreslosung „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (Gen. 16,3)
Die Andacht hält Anna-Konstanze Schröder, MdL.
Am Mittwoch, dem 25. Januar 2023, 8.00 Uhr, findet in der Schlosskirche
die nächste ökumenische Andacht vor einer Landtagssitzung statt.

Guten Morgen, schön, dass Sie sich hier sehen lassen.

Wir sind hier zusammen im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Wir kommen mit Gott ins Gespräch, werden Stille vor Gott, wir danken Gott und bitten ihn um Hilfe. Denn die Bibel bezeugt: „Gott ist ein Gott, der mich sieht.“

Lied: "All Morgen ist ganz frisch und neu"

Psalmgebet 139

Lied: "Du meine Seele singe"

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ – dieser Satz wird in der Heiligen Schrift von einer Frau namens Hagar gesagt. Sie ist Teil einer dieser Patchworkfamilien, von denen in der Bibel viel die Rede ist. Das sind ganz sicher keine heiligen Vorzeigefamilien, aber sie machen ihre Erfahrungen mit Gott.

In der biblischen Erzählung war Hagar die Zweitfrau von Abraham. Er zog in Vorzeiten als Hirtennomade mit seiner Großfamilie durch die Wüste auf der Halbinsel Sinai. Abraham hat was mit der Magd seiner Frau angefangen. Erst war zwar alles einvernehmlich in dieser Dreierkonstellation, aber dann wird diese Hagar schwanger und hat sich mit der Erstfrau verkracht. So eine Eifersuchtsnummer die vorerst damit endete, dass Hagar mit dem Kind im Bauch das Weite suchte und mitten in der Wüste an einem Brunnen strandete.

Dort kommt jemand auf sie zu. Die Bibel sagt „Ein Engel des Herrn fand Hagar.“ Der weiß schon alles über sie und sagt ihr, was sie tun soll, nämlich zurückgehen und das Kind bekommen. Macht sie dann auch. Ich kürze hier etwas ab.

Jedenfalls ende das Gespräch, indem Hagar zu Gott oder über Gott sagt: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ So übersetzt Martin Luther die hebräischen Worte. In einer moderneren Übersetzung kann man lesen: „Hier habe ich den gesehen, der nach mir sieht.“

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ -- „Hier habe ich den gesehen, der nach mir sieht.“

Für uns Politikerinnen und Politiker ist es Teil des Berufes, gesehen zu werden. Und zwar nicht nur von Gott an einsamen Plätzen. Wir müssen in die Zeitung. Wenn wir wohin kommen, sollten wir besser auch was sagen, damit wir von möglichst vielen Leuten gesehen werden. Bis zur nächsten Wahl sollten wir doch möglichst vielen Leuten die Hand geschüttelt haben. Und immer müssen wir gut aussehen und gut dastehen. Im Zweifelsfall aber egal – Hauptsache gesehen werden.

Doch welche Version von sich zeigt man? Man muss authentisch wirken, darf sich aber nicht zu angreifbar machen. Man muss die Erwartungen an Politikerinnen erfüllen, aber natürlich nur die positiven. Je sichtbarer man als Politiker wird, um so mehr verschwindet man als Menschen – habe ich manchmal den Eindruck. Das hat Vorteile, denn in gewisser Weise gehört man zu den Honoratioren vor Ort, weil beim Fleischer an der Theke etwas freundlicher bedient. Im Bekanntenkreis kommen die Leute mit ernsteren Themen auf einen zu. Aber es hat auch Nachteile, weil man ja die Inkarnation von „der Politik“ ist und so ziemlich für alles zuständig und verantwortlich ist: vom Preis für Milch und Strom bis hin zu den Schlaglöchern, dem Lehrermangel und dem Krieg in der Welt.

„Gott, Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Und auch wenn wir uns gleich im Landtag gegenübersitzen, sehen und zeigen wir uns in einer Rolle als Mitglieder konkurrierender Parteien und auch als untereinander konkurrierende Fraktionsmitglieder. Manchen Kolleginnen und Kollegen sieht man an, wie ihnen beim Betreten des Plenarsaals so ein kleiner Tiger im Nacken sitzt, keine Schmusekatze. Und immer steckt dahinter auch die Person und der Mensch.

„Gott, Du bist ein Gott, der mich sieht.“

In der Verwaltung ist es eigentlich erstmal andersrum. Die Mitarbeitenden arbeiten im Verborgenen. Besonders gut ist die Arbeit dann, wenn man nichts davon mitbekommt. Gerade in der Erkältungszeit bringt die viele Arbeit die Ausschusssekretariate und Verwaltungsmitarbeiter an ihre Belastungsgrenze. Die Bürgerinnen und Bürger wissen oft gar nicht, was alles im Hintergrund zu leisten ist. Selbst die Politikerinnen und Politiker wissen oft nur von Protokollen und bereitgestellten Dokumenten und freundlichen Gesichtern, die sich kümmern. Auch hier steckt hinter aller der Funktionalität ein Mensch.

„Gott, Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Diesen Gedanken möchte ich Ihnen gern in diese Landtags-Arbeits-Woche mitgeben. In all dem, wo wir funktionieren müssen und unsere Arbeitsrollen einnehmen. Wo wir uns als Person auch schützen müssen, indem wir nicht alles von uns zeigen und preisgeben.

Da ist Gott, der uns, jeden einzelnen von uns sieht. Der nach uns sieht. Und den man sehen kann. Der jeden einzelnen mit Wohlwollen ansieht.

Lieder und Gebete zum Abschluss

Segen

AK Schröder hält Andacht in der Schlosskirche