Landnutzer – bedeutende Minderheit und ihre Interessen in einer demokratischen Gesellschaft

Die FDP hat um eine Aussprache zum Thema "Bevormundung der Landnutzer im ländlichen Raum" gebeten. Ich durfte für die SPD-Landtagsfraktion dazu sprechen. Denn dahinter steckt doch einiger Konfliktstoff:
Die Landnutzer sind die Gestalter der Kulturlandschaft aller und sie sind eine gesellschaftliche Minderheit. Ein Dilemma. Die Landnutzer haben ständig das Gefühl, dass ihnen andere Leute in ihr Handwerk und ihr Tagwerk reinquatschen, die anderen Mitglieder unserer Gesellschaft wollen nicht, dass eine Minderheit allein darüber entscheidet, wie die Landschaft und die Umwelt gestaltet werden.

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Meine Rede können sie hier in leichtüberarbeiteter verschriftlichter Form nachlesen:
Landnutzer – bedeutende Minderheit und ihre Interessen in einer demokratischen Gesellschaft
Aussprache zum Thema „Ländliche Räume nicht bevormunden“ (FDP) am 27.09.2024
Dr. Anna-Konstanze Schröder, SPD
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Sehr geehrte Damen und Herren,
Mecklenburg-Vorpommern ist geprägt von seinen ländlichen Räumen. Wer die Idylle unseres Bundeslandes betonen möchte, verwendet die Metapher „Garten zwischen den Metropolen“. Zählt man Rostock zur Metropolregion Kopenhagen, Schwerin zur Metropolregion Hamburg und Pasewalk zur Metropolregion Stettin, dann leben dreiviertel der Menschen unseres Landes im ländlichen Raum. Und tatsächlich muss man von einer Vielfalt ländlicher Räume sprechen. Vorhin wurde das Deutschlandticket angesprochen. Nicht alle im ländlichen Raum sind enttäuscht darüber. In einem Ort wie Demmin, der über den Eisenbahnverkehr an die Welt angeschlossen ist, sind viele Einwohnerinnen und Einwohner sehr froh über das Deutschlandticket.
Unser Bundesland hat die geringste Einwohnerdichte aller Bundesländer. Das Besondere unserer ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern ist genau das: viel Raum. Die Schriftstellerin Juli Zeh beschrieb ihren Wegzug aus Berlin ins Dorf in einem Interview als Gewinn von Freiheit: Am Wochenende genoss sie die Ruhe am Sonnabend Vormittag. Da macht sie, was Büromenschen aus der Stadt am Sonnabend vormittag so machen: Ausschlafen. Und erst nach einer Weile bekam sie mit, dass ihre Nachbarn genau das wussten und darum die Kreissäge und den Rasenmäher erst ab Mittags benutzt haben. Die Freiheit, die wir genießen, ist die Freiheit, die wir einander lassen. Die Freiheit des einen ist die Rücksicht des anderen.
Typisch Land ist auch Wandel
Meistens kommt gesellschaftlicher Wandel im ländlichen Raum sogar früher an und trifft den Lebensalltag der Leute stärker. Die vielen Zuzüge und Wegzüge nach 1990, die wir hier ja noch persönlich mitbekommen hatten, haben vor allem darum eine herausfordernde Bedeutung, weil man sich im ländlichen Raum mehr aufeinander verlassen muss, weil es weniger staatlich organisierte Infrastruktur gibt. Will man Kino im Dorf haben, muss man es selbst organisieren. Ältere Alleinstehene bekommen schonmal von den Nachbarn mitgekocht oder was vom Supermarkt mitgebracht. Fährste auf dem Feldweg fest, kannste jemanden mit Trecker organisieren, wo der ADAC nicht mehr hinkommt. Auf'm Dorf bekommt man so einiges geregelt, ohne nach dem Staat zu rufen oder über die da oben zu jammern. Einfach machen.
Wandel wirkt auch in diesem Bereichen verstärkt: Kommunikationstechnik (In meiner Kindheit gab es nur ein Telefon im Dorf, jetzt ist es besser.[1]), Klimaschutzmaßnahmen, Mobilität, Gesundheitsversorgung, Kulturangebote – um nur einige der ländlichen Problembären unserer Zeit zu benennen. Im europäischen Vergleich ist Ostdeutschland eine der reichsten Regionen Europas, auch im Vergleich zu vielen Regionen Frankreichs, Spaniens oder Ostmitteleuropas.
Der größte Wandelmotor waren und sind Veränderungen in den „Produktionsbedingungen“ im Agrarbereich. Ein paar Schlaglichter, mein Kollege Dirk Bruhn hat das in seiner Rede ausführlich dargestellt: Die Abschaffung der Leibeigenschaft hat die ländlichen Sozialstrukturen grundlegend gewandelt. Seit der Erfindung des Industriedüngers und der Dampfmaschine wird die Landwirtschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert industrialisiert. Viele Gutsbetriebe gingen um die Jahrhundertwende pleite, wurden aufgesiedelt von oft Zugezogenen – oder was denken Sie, wie der Karneval in die Seenplatte kam? Erstmals gab es freie Bauern, die nach 1945 meist nicht freiwillig in die LPGen gezwungen wurden. Das brachte massive gesellschaftliche Spannungen in die Dörfer, die Privatisierung der Agrargenossenschaften nach 1990 war nicht weniger schwierig für das Miteinander. Spätestens seit den 1960ern sorgen die Maschinen in der Landwirtschaft für einen stetigen Rückgang derjenigen, die mit der Landwirtschaft ihr Geld verdienen.
Derzeit sind es ungefähr 2% der Bevölkerung (gut 30 Tsd in MV), die in der Landwirtschaft arbeiten in rund 5000 Landwirtschaftsbetrieben. Die 16 Tausend Jägerinnen und Jäger machen gerade mal 1% der Bevölkerung aus, Angler 5,6%, dazu die wenigen Berufsfischer, auch noch einige Imker, dazu noch die 88 Forstbetriebe plus Landesforst. Addiert man es auf – also überschätzt man es, weil Landwirtschaftsmitarbeiter auch Jäger und/oder Angler sind - sind es trotz dieser Überschätzung keine 10% der Leute auf dem Land, die Landnutzerinnen und Landnutzer im klassischen Sinne sind, wie man sich das in der ländlichen Idylle so vorstellt. Ergänzt um Kleingärtner sind es rund 15%.
Die dörfliche Gemeinschaft ist nicht mehr identisch mit denen, die auch vom Land leben. Es ist eine größere Vielfalt von Lebensweisen, Einkommensverhältnissen, Wertvorstellungen in der ländlichen Gesellschaft. Harald Terpe hat die Berufsvielfalt eben gut beschrieben.
Vielfalt bringt Konflikte mit sich. Landnutzer*innen gegen Umweltschützer*innen? Das ist nur ein Konfliktfeld von vielen. Vielfach sind es auch Konflikte zwischen verschiedenen Landnutzern, wie es Dirk Bruhn ausführlich erklärt hat. Auch Landnutzer gegen „die da oben“ wird oft ins Feld geführt, wenn staatliche Vogaben als gängelnde Bevormundung wahrgenommen werden.
Darf der Landwirtschaftsminister auf der MeLa dann sagen, dass er sich mehr Kompromissfähigkeit wünscht? Natürlich!
Darf der Minister emotional argumentieren? Er ist ein Menschen.
Darf der Minister auch mal scharfzüngig sein? Ich bitte Sie, da stehen die gestandenen Landnutzer doch drüber!
Weil es aber in dieser Debatte im Landtag – und nicht auf der volksfestartigen Landwirtschaftsmesse wie der MeLA – also hier im Hohen Haus ziemlich persönliche Angriffe auf die gewählten Abgeordneten Manuela Schwesig und Till Backhaus gab, möchte ich dem Kollegen von der CDU antworten und in der Metapher bleiben: Man muss nicht auf dem rechtspopulistischen Misthaufen stehen, um krähen zu können.
Minderheitenrechte und Beteiligung
Die Landnutzer sind die Gestalter der Kulturlandschaft aller und sie sind eine gesellschaftliche Minderheit. Ein Dilemma. Die Landnutzer haben ständig das Gefühl, dass ihnen andere Leute in ihr Handwerk und ihr Tagwerk reinquatschen, die anderen Mitglieder unserer Gesellschaft wollen nicht, dass eine Minderheit allein darüber entscheidet, wie die Landschaft und die Umwelt gestaltet werden.
Hier kommen wir nun zum Kern der Demokratie unserer Gesellschaft: es werden Mehrheitsentscheidungen getroffen und Minderheitenrechte berücksichtigt. Mehrheitliche Abstimmungen stehen nicht für sich. Durch unsere Gesetze, allen voran Grundgesetz und Landesverfassung werden die Rechte und auch Pflichten von Minderheiten festgelegt. Darum ist es auch so wichtig, dass sich alle Menschen – alle, jeder und jede einzelne – mit unserer Demokratie befassen, sich auskennen, sich engagieren. Darum ist auch Demokratiebildung für alle Altersgruppen so wichtig. Denn: „Kümmerst Du Dich nicht um die Politik, kümmert sich die Politik irgendwann um Dich!“[2]
Wählerinnen und Wähler garantieren mit ihrer Stimme, dass es in unseren Parlamenten Mehrheiten für unsere Demokratischen Werte sitzen, die eben nicht die Rechte für Minderheiten abschaffen. Minderheiten sind im Falle des ländlichen Raumes manchmal auch die Etablierten, die für ihre Minderheitenrechte kämpfen müssen.
In unserer Parlamentarischen Demokratie bedeutet es, dass die Etablierten nicht einfach den Hofstaat eines Königs bequatschen können; nein, sie müssen bei Abgeordneten um ihre Interessen genauso werben wie andere. Und es gibt vielfältige Möglichkeiten, den eigenen Anliegen in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und die eigenen Interessen einzubringen: Gespräche, Presse, Petition, Demonstration, Plakate, Unterschriftensammlung… Bei der Landeszentrale für Politische Bildung gibt es ausgiebig Informationsmaterial. Ich empfehle das „Bürgerhandbuch“, in dem allein 99 Möglichkeiten für die Einmischung in die Politik ohne Mandat erklärt werden. Das ist dort für kleines Geld zu bestellen.
Mit der Öffentlichkeitsarbeit für die eigenen Interessen können Landnutzer auch zeigen, dass sie oftmals nicht nur für eine kleine Gruppe der Bevölkerung sind, sondern ihr Anliegen auch von anderen mit vertreten wird. Allerdings: man muss sich kümmern und Hinterzimmergespräche oder Schnapsrunden auf der Grünen Woche reichen oft nicht mehr allein aus.
Die Landnutzerinnen und Landnutzer haben alle Rechte, sich für ihre Anliegen in unserer Gesellschaft einzusetzen. Sie haben die Pflicht wie alle anderen Interessengruppen auch, sich Gehör zu verschaffen und andere zu überzeugen. Und sie werden doch gehört.
Phantomschmerz einer diktaturgeprägten Gesellschaft
Ich spreche mit vielen Leuten im ländlichen Raum – egal ob nun Landnutzer*innen oder jemand anderes mit eigenen Interessen. Und von allen Beteiligten höre ich immer dasselbe: Sie fühlen sich nicht gehört. Niemand fühlt sich gehört. Meistens wird von „der Politik“ eine Lösung erwartet, die dann aber möglichst die eigene Position genau treffen soll. Sonst ist man verschnupft und beschwert sich bei der AfD oder so. Die Drohung hören viele Funktionsträger vom Schulleiter bis zum Heimatvereinsvorsitzenden. Diese Angstmache ist erschreckend. „Es ist nicht einfach, für Freiheit einzutreten, wenn die politischen Gegner Angst für ihr Zwecke einsetzen.“ So Gerhart Baum, der große sozialliberale FDP-Politiker im Kabinett von Willy Brandt. Aber zurück zur Eigenverantwortung der Landnutzer.
In Konfliktsituationen wirft man sich gegenseitig Ideologie vor. Vielmehr denken die eine oder der andere, dass die eigene Meinung ja eigentlich die Meinung aller, die Meinung „des Volkes“ ist. Und wenn schon nicht die Meinung des Volkes, dann doch die beste Meinung „für das Volk“. Frei nach dem Kreuzworträtsel-Witz: Wie heißt die Weltmacht mit drei Buchstaben? --- ICH. Und dann akzeptiert keiner der Gesprächspartner mehr, dass er oder sie irren könnte.
Und sogar noch schärfer: Es wird auch keine andere Autorität mehr anerkannt außer der eigenen Meinung: keine wissenschaftliche Studie, keine andere Erfahrung, keine Chance für einen Kompromiss in unterschiedlichen Bedürfnissen. „Libertärer Autoritarismus“[3] nennt man das: die eigene Meinung frei bilden und nur die eigene Meinung als Autorität anerkennen. Dann ist kein Gespräch mehr möglich.
Darum bin ich auch der Überzeugung, dass das Thema dieser Aussprache in seiner Formulierung die gegenseitigen Vorurteile vertieft. Wenn von Bevormundung gesprochen wird, dann erschwert das einen konstruktiven Gesprächseinstieg. Es wir Respekt eingefordert von den einen für die anderen, wo der Respekt gegenseitig notwendig und angebracht ist. Die Landnutzerinnen und Landnutzer haben alle Freiheiten, sich für ihre Anliegen auf allen Ebenen einzusetzen. Und sie nutze die auch. Sie bekommen schlicht nicht immer in allem Recht. Da sind sie in einer gesellschaftlich so bedeutenden Stellung, dass sie die Interessen der anderen mit berühren. Da sind Kompromisse nötig, weil Konsens nicht immer möglich ist.
„Es ist nicht einfach, für Freiheit einzutreten, wenn die politischen Gegner Angst für ihr Zwecke einsetzen.“ So Gerhart Baum, der große sozialliberale FDP-Politiker im Kabinett von Willy Brandt. Darum betone ich die Pflicht zu gegenseitigem Respekt hier so stark.
Das Reden von der Klimaerhitzung macht Angst. Mir jedenfalls. Und es lässt eigentlich kaum einen Kompromiss zu. Der Druck auf die Wirtschaftsbetriebe mit Kostensteigerungen und Personalmangel mit der Drohung, dass bei uns immer weniger Lebensmittel produziert werden würden; dazu die zunehmende Abschaffung der landwirtschaftlichen Tierhaltung mit der Schließung einer Molkerei aus Milchmangel in Dargun – ist genauso beängstigend. Wie kann aus solch beängstigendem Druck eine konstruktive Lösung entstehen? Indem man sich gegenseitig ablehnt? Ich werbe hier als Sozialdemokratin für ein „GemeinsaM-Voran“, für das konstruktive Gespräch, das es doch längst gibt. Für den Streit in Respekt.
Für eine solidarische Gesellschaft, in der Wirtschaft – Ökologie – Gesellschaftliches Miteinander nur zusammen gedacht werden können.
Denn nicht das idealisierte Damals ist das Normale, Nein!
Es sind schon längst nicht mehr die Landnutzer, die wie die Gutsherren ihr Dorf beherrschen können. Das heißt, dass sie mit ihrer Tätigkeit durchaus eine große gesellschaftliche Bedeutung haben. Stattdessen ist gewiss: Wandel ist normal. Sicher bleibt, dass nichts so bleibt. Wandel findet statt und es gilt, ihn zu gestalten. Schritt für Schritt.[4] Und nur im Miteinander im Respekt der gegenseitigen Positionen. Und Respekt gegenüber dem anderen heißt auch, seine eigene Sicht deutlich zur Sprache zu bringen statt sich gekränkt zurück zu ziehen und sich dem Miteinander zu verweigern.
Das Leben in unserer freiheitlichen Demokratie ist anstrengend, es braucht Mut und es braucht das Engagement jedes einzelnen. Die landnutzende Minderheit hat alle Chancen, sich in unsere Gesellschaft einzumischen.
Eine abschließende Bemerkung: Es ist großartig, dass sich die FDP für Minderheitenrechte einsetzt. Leider scheint sie das nur für privilegierte Minderheiten zu tun. Denn als es darum ging, in Schwerin einen Integrationsbeirat einzurichten, hat die FDP dagegen gestimmt. Hier hätte eine Minderheiten-Gruppe von engagierten Menschen bessere Chancen der Mitwirkung in unserer Gesellschaft bekommen; und zwar diejenigen die hier leben aber nicht so privilegiert sind wie die Landnutzer*innen.
[1] Replik auf eine Kritik des AfD-Redners, der sich über die schlechte Versorgung mit Telekommunikation im ländlichen Raum beschwerte.
[2] Russisches Sprichwort, entdeckt im Buch „Wir nennen es Politik: Ideen für eine zeitgemäße Demokratie“ von Marina Weißband (2013).
[3] Vgl. Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey. Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022.
[4] Vgl. Armin Nassehi. Kritik der großen Geste. Anders über gesellschaftliche Transformation nachdenken. C. H. Beck, München 2024.